Energiekrise, Zentralbank-Aktivitäten und Inflation
Kein Tag vergeht und die aktuelle Lage ändert sich fast täglich durch neue Ereignisse.
Die EZB tritt dem „Jumbo Rate-Hike Club“ bei, also Notenbanken, die um 75 Basispunkte Ihre Leitzinsen erhöhen, zu der inzwischen auch die EZB gehört. Was man vor einiger Zeit für nicht möglich gehalten hätte, ist jetzt Realität geworden. Die größte Leitzinsanhebung der Geschichte war ein klares Signal der EZB. Dennoch liegen Sie noch weit unter dem Zinsniveau der amerikanische Fed. Damit fühlt sich die EZB als getrieben von der Inflation. Weitere Zinsanhebungen sind laut EZB-Chefin Christine Lagarde nötig. Wir können also davon ausgehen, dass am 27. Oktober und 15. Dezember weitere, möglicherweise substanzielle Zinsschritte folgen werden. Der Repo-Satz könnte zum Jahresende bei 2,5% stehen.
Dies hat in den letzten Wochen an den Anleihenmärkten natürlich auch zu beeindruckenden Renditen beigetragen. Betrachten wir die Zinskurve der 10-jährigen deutschen Bundesanleihe, sehen wir, dass die Zinskurve sich innerhalb von einem Monat, extrem nach oben verschoben hat. Im Gegensatz zu den USA ist die Kurve aufwärtsgerichtet. In den USA sehen wir eine inverse Zinsstrukturkurve. Die Zinsen für Anleihen mit kurzer Laufzeit liegen bei knapp 3,5% und bei den zehnjährigen US-Anleihen bei 3,3%. Damit ist das Rezessionsrisiko einmal deutlicher denn je signalisiert.
Ein wichtiger Indikator für die Bauzinsen sind die Zinsen für zehnjährige Bundesanleihen. Denn sie bestimmen maßgeblich die Renditen der Pfandbriefe, die wiederum von Banken für die Refinanzierung von Immobilienkrediten genutzt werden. Man kann sich darauf einstellen, dass die durchschnittliche Baufinanzierung bis Ende des Jahres um einige Tausend Euro innerhalb der Laufzeit verteuert.
Betrachten wir allerdings die Energiekrise, ist die Rezessionswahrscheinlichkeit in Europa deutlich höher.
Was große Sorgen bereitet, ist Italien. Mittlerweile sind die Renditen der italienischen zehnjährigen Staatsanleihen bei 4% angekommen! Bedeutet ein Risikoaufschlag von 2,3% gegenüber der Bundesanleihe. Das muss man kritisch im Auge behalten. Denn diese Situation macht es fast untragbar neue Schulden aufzunehmen. Es ist durchaus zu befürchten, dass wir mit neuen Schulden zu rechnen haben, um die Energiekrise zu meistern. Die EZB wird hier einmal mehr hinschauen, um das Risiko in einem Maß des erträglichen zu halten. Nebenbei hat die EZB ihre Wachstumserwartungen für das nächste Jahr deutlich gesenkt. Man erwartet für das Jahr 2023 ein Wachstum von 0,9%. Betrachten wir die fundamentalen Daten und die Situation auf dem Energiemarkt ist das eine sehr optimistische Einschätzung. Das IFO-Institut sieht hingegen ein Rückgang von 0,3% für das kommende Jahr. Die Inflation wird auf 9,3% taxiert. Also auch hier sieht man keine wesentliche Entspannung im nächsten Jahr.
Beim Ölpreis können wir erste Preisentspannungen sehen. Allerdings muss man auch hier genau hinschauen. Die OPEC wollte bereits die Produktion drosseln, um den Preis zu stabilisieren. Der Iran-Deal mit den USA scheint aktuell nicht sehr wahrscheinlich zu sein. Dadurch sind keine zusätzlichen Mengen an Öl aus dem Iran zu erwarten. Tendenz steigende Ölpreise.
Die Zentralbanken haben den optimalen Zeitpunkt für Zinserhöhungen verpasst. Wir sehen, dass die Regierungen sehr viele Maßnahmen ergreifen, um die Effekte stark steigender Energiepreise abzumildern. Preisobergrenzen, Rabatte, Rettungspakete, Verstaatlichungen von Unternehmen, Schuldenerlass zum Teil Studentenkredite in den USA, die auch reduziert werden. Diese Maßnahmen haben sicherlich wenig direkt mit der Energiekrise zu tun. Inflation ist aber eine massive Bedrohung für den gesellschaftlichen Frieden. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung wächst immer mehr, da ihre Existenz immer mehr bedroht wird durch Preissteigerungen. Proteste werden lauter. In einzelnen Ländern gehen die Leute schon vermehrt auf die Straßen. Das stärkt natürlich auch die politischen Ränder, links wie rechts. Hier ist eine deutliche Sympathie für die russische Seite erkennbar.
Der Druck für die Veränderungen Geld auszugeben, steigt in Zukunft immer mehr aufgrund der aktuellen Lage. Um diese Situation in den Begriff zu bekommen, muss die Politik in Zukunft höhere Investitionen in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung tätigen. Es bedarf einer Neuordnung der Handels- und Lieferketten. Die Erschließung von wichtigen Rohstoffen sowie Infrastruktur insbesondere im Bereich der Energie.
Unser Wohlstand war in der Vergangenheit von günstiger Energie getrieben. Kein anderes Land hat sein Geschäftsmodell auf einen operativen Hebel günstiger Energie so aufgebaut wie Deutschland. Die Politik hatte ausgerechnet, dass der operative Hebel der deutschen Wirtschaft 1 zu 100 beträgt. Das bedeutet, dass aus jedem Euro, der für russisches Gas ausgegeben wurde, 100 Euro produzierte Güter entstanden. Dieser Hebel ist einer der höchsten den wir in der Weltwirtschaft sehen. Nun wirkt der Hebel aber auch in die andere Richtung.
Die Kosten für Gas und Strom werden weiterhin hoch bleiben. Das Risiko, dass über den Winter viele Unternehmen in die Insolvenz gehen, dass Arbeitsplätze verloren gehen und die Kaufkraft der Verbraucher weiterhin erodiert wird, durch hohe Energiepreise, das ist sehr hoch. Selbst wenn wir erfolgreiche Meldung von der Front bekommen, dass die ukrainische Armee Teile des Landes zurückerobert. Ein zeitnahes Ende des Krieges ist wohl eher unwahrscheinlich. Selbst wenn es so wäre, dann dürften die wirtschaftlichen Folgen noch eine ganze Weile zu spüren sein.
Gerade weil die Schwere der Abschwächung noch nicht voll absehbar und auch in offiziellen Prognosen kaum ernsthaft abgebildet ist, könnte sich der Ausblick für Aktienanleger in Europa zunächst noch weiter eintrüben.